[English version below]
Selbst wer sich nicht sonderlich mit Comics befasst, aber zumindest halbwegs popkulturell interessiert ist, wird dem Namen bzw. der Figur John Constantine schon mal über den Weg gelaufen sein. 2005 kam mit „Constantine“ ein Film in die Kinos, in welchem Keanu Reeves die Rolle des besagten John Constantine übernahm. Dieser Film basierte auf der Comicserie „Hellblazer“. Der kettenrauchende Zyniker, dessen Business es ist, Dämonen aller Geschmacksrichtungen den Hintern zu versohlen, konnte seit seiner Erfindung Ende der 1980er-Jahre von Alan Moore einige Popularität gewinnen. Der Film hat sicher einiges dazu beigetragen, möchte ich annehmen. Erinnern wir uns: Im Film sorgte der überbordende Kippenkonsum des zynischen Okkultisten dafür, dass sein Enddatum im Prinzip erreicht war. Der Krebs hatte sich schon quer durch die Lungenflügel gefressen. Durch Eingreifen Luzifers wurde Constantine im Film von Krebs befreit. Warum erzähle ich das? Nun, Constantine war durch einen Selbstmordversuch schon einmal in der Hölle und im Film dem Tod schon wieder näher als dem Leben. In dem ersten Band des Comics „John Constantine – Hellblazer: Tot in Amerika“ ist darüber aber schon weit hinaus.
Genau genommen ist zu dem Zeitpunkt, an dem wir in die Handlung dieser Geschichte geworfen werden, John Constantine eine wandelnde Leiche. Sein Herz schlägt schon seit geraumer Zeit nicht mehr, zudem fängt sein Körper bereits an, zu verwesen. Und wäre das eigentlich nicht schon allermeist genug, sah sich Constantine auch mit dem Vorwurf des Mordes konfrontiert. Was dazu führte, dass er, sein taubstummer Sohn Noah und die Türsteherin Nat von England aus in die USA flüchteten. Dort treffen sie auf Dream von den Ewigen (siehe die „Sandman“-Comics), der Constantine auffordert, einen Beutel mit Traumsand zurückzubringen. Der Inhalt dieses Beutels verleiht unvorstellbare Macht, auch Constantine hatte sich dieser in der Vergangenheit schon bemächtigt. Und so macht sich das Trio auf einen Roadtrip durch die Vereinigten Staaten. In einem kirschroten Doppelstockbus. Unterwegs müssen sie nicht nur an das Herz eines Vampirs gelangen, sondern auch beispielsweise dem Swamp Thing helfen. Und treffen auf illustre weitere Figuren, die dem aktuellen Zeitgeist entsprungen sind …
Und da liegt auch die große, erzählerische Stärke dieses Comics, der bei oberflächlicher Betrachtung eine irre Mischung aus Horror und Dark Fantasy ist. Sich aber bei näherer Betrachtung als Parabel aktueller Zustände entpuppt. Auch wenn die Story durchgehend ist und auf ein bestimmtes Ziel – die Wiedererlangungen des Sandsacks nämlich – hinarbeitet, so ist der Weg dahin doch sehr episodenhaft- bzw. kapitelmäßig aufgeteilt. Bisschen wie bei den Mysteryserien „Supernatural“ oder „The X-Files“: eine große, übergeordnete Handlung und dazwischen die „Monster of the Week“-Episoden. So in etwa ist es auch hier. Und manchmal sehr politisch und sehr mit dem Zeitgeschehen verheiratet.
So geht es in einer Geschichte um einen Grenzschützer, vom Leben bestraft und enttäuscht und daher alles „woke“ hassend, der mit dem Gewehr im Anschlag an der amerikanisch-mexikanischen Grenze sitzt, bereit, Flüchtende über den Haufen zu ballern. Und tatsächlich, eine Frau nebst Tochter geraten in sein Visier. Und die Stimmen in seinem Kopf sagen ihm, dass er schießen soll. Eine andere Stimme meint, natürlich schießen, aber vorher noch ficken. Entschuldigt die Wortwahl, es ist ein Zitat. Ich verrate Euch nicht, wie die Geschichte ausging.
Eine andere Sache, die mich sehr bewegt hat: Constantine und seine Gang machen Halt in einer Kleinstadt. Einer Stadt, die sehr darauf bedacht ist, dass bestimmte Dinge nicht zur Sprache, nicht (wieder) ans Licht kommen. Um das ein bisschen abzukürzen: Unser Exorzist findet heraus, dass hier sechs Personen an der Vergewaltigung eines Mädchens beteiligt waren, Live-Stream ins Internet inklusive. Und dass nach medienwirksamen Protesten das Strafmaß der Täter (geschlechtsneutrale Schreibweise nicht nötig) auf ein himmelschreiend niedriges Niveau heruntergekürzt wurde. Schließlich seien das zwar Täter, aber man dürfe doch deswegen bitte nicht die Zukunft der vermeintlichen Football-Stars aufs Spiel setzen. Erinnert Euch das auch so frappierend an Ereignisse, die in unserem Ländle kürzlich publik wurden? Jedenfalls: Es kommt, wie es kommen muss. Das Mädchen bringt sich um – und seitdem werden diverse Menschen dieser Stadt, in der man sehr darauf bedacht ist, dass bestimmte Dinge nicht zur Sprache kommen, von schlimmen Albträumen heimgesucht …
Kurz war ich versucht, dass der britische Autor Simon Spurrier hier der amerikanischen Gesellschaft auf ungeschönte Weise den Spiegel vorhält, während seine Figuren von einem albtraumhaften Trip zum nächsten hetzen, um Dreams Sandkörchen wieder aufpicken. Nur: vieles ließe sich auf andere Gesellschaften (unsere zum Beispiel) nicht weniger anwenden. Somit ist dieser erste Band von „John Constantine – Hellblazer: Tot in Amerika“ zwar unterhaltsam und spannend, gleichzeitig aber auch auf erschreckende Weise beklemmend. Auf vielfache Weise abgründig und das in einem Maße, dass es unangenehm wird. Ich vermute aber stark, dass genau das ein Anliegen des Autors war. Überdies brilliert dieser Comic aber auch durch geschliffene, pointierte Dialoge und scharfe Charakterzeichnungen, womit nicht zwingend die düsteren, perfekt zum Geschehen passenden Zeichnungen von Aaron Campbell (und anderen) gemeint sind. Lange Rede, kurzer Sinn: Der erste Aufschlag dieser neuen „Hellblazer“-Serie, die unter dem DC Black Label Imprint veröffentlicht wird, ist sehr gelungen. Im Juni soll es weitergehen und ich bin gespannt, mit welchem Elend uns Simon Spurrier dann konfrontieren wird.
Even if you’re not really into comics, but at least somewhat tuned in to pop culture, chances are you’ve come across the name—or the character—John Constantine at some point. Back in 2005, a movie titled Constantine hit theaters, starring Keanu Reeves in the role of said John Constantine. That film was based on the comic series Hellblazer. The chain-smoking cynic whose business it is to kick the crap out of demons of all varieties has built up a decent fanbase since being created by Alan Moore in the late 1980s. I’d wager the movie helped with that quite a bit.
Let’s remember: in the film, Constantine’s heavy cigarette habit had basically signed his death warrant—lung cancer had taken over. But thanks to an intervention by Lucifer himself, Constantine was cured of cancer. Why am I bringing this up? Well, because Constantine had already been to Hell once before via a suicide attempt, and in the film, he was once again knocking on death’s door. In the first volume of the comic John Constantine – Hellblazer: Dead in America, though, we’re way past that point.
To be exact, by the time we drop into the story, John Constantine is already a walking corpse. His heart hasn’t beaten in quite a while, and his body has started to decay. And as if that weren’t already more than enough, Constantine is also being accused of murder. Which leads him, along with his mute son Noah and the bouncer Nat, to flee from England to the U.S. There, they meet Dream of the Endless (yep, Sandman fans know the deal), who tasks Constantine with retrieving a pouch of dream sand. This pouch holds unimaginable power—Constantine himself had once possessed it in the past. And so, the trio sets off on a road trip across the United States. In a cherry-red double-decker bus.
Along the way, they have to get their hands on the heart of a vampire, help out Swamp Thing, and encounter a whole bunch of other weird and wild characters pulled straight from the fever dreams of the modern era…
And that’s where this comic really shines. On the surface, it’s a wild mashup of horror and dark fantasy. But when you look a little closer, it turns out to be a parable for the current state of the world. While the story is continuous and clearly aimed at a particular goal—getting that pouch of dream sand back—the journey there is broken up into episodic chapters. Kinda like those classic mystery shows Supernatural or The X-Files: one overarching narrative, but with plenty of "monster of the week" vibes in between. That’s very much the vibe here, too. And sometimes it gets pretty political and deeply rooted in current events.
In one story, there’s a border patrol agent—beaten down and bitter, full of hate for anything “woke”—sitting at the U.S.-Mexico border with his rifle at the ready, fully prepared to gun down fleeing migrants. Sure enough, a woman and her daughter end up in his crosshairs. The voices in his head are egging him on to pull the trigger. One voice even suggests, “Yeah, shoot. But fuck her first.” Pardon the language, but that’s a direct quote. I won’t spoil how that story ends.
Another part that really hit me: Constantine and his crew roll into a small town. A town hellbent on keeping certain things buried—figuratively and literally. Long story short: our exorcist uncovers that six locals were involved in the rape of a girl, live-streamed to the internet. After public protests, the perpetrators’ sentences (no need for gender-neutral terms here) were slashed down to an insultingly low level. Because hey, sure they’re guilty, but let’s not ruin the futures of these promising football stars, right? Sound eerily familiar to some recent events in our own backyard? Anyway—things play out the way you’d expect. The girl ends up taking her own life. And ever since, the town—so desperate to keep everything hushed up—has been plagued by horrific nightmares…
For a moment, I felt like British writer Simon Spurrier was holding up an unfiltered mirror to American society here, as his characters lurch from one nightmare trip to the next, trying to gather Dream’s lost grains of sand. But honestly, a lot of this could just as easily apply to other societies too—ours included. Which makes this first volume of John Constantine – Hellblazer: Dead in America not just gripping and entertaining, but also deeply disturbing in all the right ways. Dark and layered to the point of being uncomfortable. I strongly suspect that’s very much what the author intended.
And on top of that, this comic absolutely nails it with razor-sharp dialogue and striking character work—and I’m not just talking about the haunting, perfectly matched artwork by Aaron Campbell (and others). Long story short: this debut volume in the new Hellblazer series, published under the DC Black Label imprint, is a hell of a ride. The next installment is set to drop in June, and I’m already bracing myself for whatever fresh hell Simon Spurrier’s got in store for us next.
Roman Empire