[English version below]
Kann der Verlust von reiner, ehrlicher und bedingungsloser Liebe einen ansonsten ziemlich einsamen Menschen dazu bringen, bis zum Äußersten zu gehen? Gerard Donovan meint in seinem jüngst erschienenen Roman „Winter in Maine“: ja, durchaus. In großartig fabulierten Sätzen entspinnt er hier eine feine kleine Geschichte, in der sich Liebe und Verlust, Einsamkeit und Verlangen, Hingabe und Rache zu einem literarisch wertvollen Kleinod vereinen.
Die Wälder in Maine, im äußersten Nordosten der USA gelegen, sind einsam und die Winter dort bitterkalt. Wer sich entscheidet, dort oben zu leben, trifft eine bewusste Entscheidung, in Einsamkeit zu leben. Wer dort ein Grundstück in den menschenleeren Wäldern besitzt, muss schon mal ein paar Kilometer Fahrt durch den Schnee in Kauf nehmen, um seinem nächsten Nachbarn einen Besuch abzustatten. Irgendwo in dieser eigentlich recht ungemütlichen Gegend wohnt der Eigenbrötler Julius Winsome. Natürlich lebt er alleine in seiner Blockhütte. Aber er ist nicht vereinsamt; Gesellschaft leisten ihm ungefähr 3000 Bücher aus dem Nachlass seines Vaters. Und sein treuer Hund Hobbes. Die beiden verbindet diese typische und gleichwohl besondere Mensch-Hund-Beziehung, die jeden Hundebesitzer beim Gedanken daran kurz selig lächeln lassen. Die Welt der beiden ist einfach, aber in Ordnung – bis zu dem Moment, an dem Julius seinen treuen Gefährten vor seiner Hütte erschossen vorfindet – offensichtlich wurde der Hund aus nächster Nähe getroffen, ein Jagdunfall kann also ausgeschlossen werden.
Julius’ Welt, immer schon von Verlust und Einsamkeit geprägt, bricht zusammen. Seine Mutter hat er nie kennengelernt, denn sie starb bei seiner Geburt. Sein Vater, der ihn aufzog, ohne jemals wieder geheiratet zu haben, hat diese Welt ebenfalls vor 20 Jahren verlassen. Und die Liebe zu Claire, die einzige Frau, die je näher in sein Leben getreten ist, hielt nur einen einzigen kurzen Sommer lang. Und nun haucht die einzige Liebe, die einzige Aufmerksamkeit, der einzige treue Weggefährte, der ihm geblieben ist, in seinem Beisein das Leben aus. Der Tod wurde mutwillig herbeigeführt. Das ist mehr, als Julius ertragen kann. Sein beschauliches Leben, das bislang aus ihm, dem Hund und der Sprache Shakespeares bestand, kennt fortan keinen Frieden mehr. Denn bereits am Tag nach dem grausamen Ableben seines Hundes holt Julius das Scharfschützengewehr seines Großvaters aus dem Schrank und macht sich auf die Jagd nach dem Mörder seines Hundes. Diversen Kollateralschaden inbegriffen …
Es gibt so Bücher, die klingen zunächst einmal irgendwie recht unspektakulär. Ein Mann, der sich auf einen Rachefeldzug wegen seines erschossenen Hundes macht? Das lässt einen zunächst vielleicht an alte Charles-Bronson-Filme denken oder an „Falling Down“ mit Michael Douglas, nicht aber an großartige Literatur. Und doch gibt es Bücher, die dennoch einen geradezu magischen Reiz ausüben und förmlich erzwingen, dass man einmal probehalber die ersten paar Seiten anliest. Im Idealfall passiert es, dass dies schon ausreicht, um sich von diesem Buch gefangen nehmen zu lassen und es nicht eher aus der Hand zu legen, ehe man nicht auch die letzte Seite gelesen hat. „Winter in Maine“ schafft dieses Kunststück mit spielerischer Leichtigkeit.
Gerard Donovan präsentiert sich hier als hochtalentierter Autor, der in wunderbar wohlklingenden Sätzen die Einsamkeit und die Kälte der Wälder Maines lebendig macht. Genauso wie man sich beim Lesen dabei ertappt, das Holz der Blockhütte knacken zu hören, den Geruch der Bücher in Julius’ Bibliothek einzuatmen und den Schnee unter den Stiefeln knacken zu hören. Die fast schon poetischen Sätze sind es, die den Leser zum stummen Zeugen eines scheinbar kaltblütigen Rachefeldzugs werden lassen, bei der Julius seine Opfer mit der gleichen berechnenden, leidenschaftslosen Präzision erlegt wie die von ihm erschossenen Jäger ihr Wild. Und doch sind die Rollen von Täter und Opfer bei weitem nicht so klar verteilt, wie man zunächst glauben mag. Gut und Böse lässt sich eben nicht immer in Schwarz-Weiß-Malerei beschreiben. Viel zu oft verschwimmen die Grenzen in einem diffusen Grau. Ähnlich den Licht- und Wetterverhältnissen in einem Winter in Maine …
Was für ein Buch! Ich habe es zunächst gelesen, weil sich die Lobhudelei auf dem Buchrücken und die knappe Zusammenfassung recht interessant anhörten. Kaum die ersten Zeilen angelesen, war ich sofort wie gebannt von dem großartigen Stil Gerard Donovans, der es meisterlich versteht, auf sehr bildhafte Art zu schreiben, ohne dabei ausufernd zu wirken. Und hielt ich Julius zunächst nur für einen durchgeknallten Spinner, so wurde mir im Verlauf der Handlung klar, dass es eben nicht so einfach ist. „Winter in Maine“ ist für mich DER Tipp für diesen Herbst!
Can the loss of pure, honest, and unconditional love drive an otherwise quite lonely person to extremes? In his recently published novel "Julius Winsome," Gerard Donovan suggests: yes, absolutely. With wonderfully crafted sentences, he spins a subtle tale where love and loss, loneliness and desire, devotion and revenge merge into a literary gem.
The woods of Maine, located in the far northeastern U.S., are remote, and the winters bitterly cold. Anyone choosing to live up there deliberately opts for solitude. Owning property in these isolated forests means accepting a journey of several miles through snow just to visit one's nearest neighbor. Somewhere in this rather inhospitable area lives the loner Julius Winsome. Naturally, he lives alone in his log cabin. But he's not entirely isolated; he's accompanied by roughly 3,000 books inherited from his father—and his loyal dog, Hobbes. The two share that typical yet unique bond familiar to any dog owner, prompting a quiet, blissful smile. Their world is simple but harmonious—until Julius finds his faithful companion shot dead outside his cabin, clearly killed at close range, ruling out any hunting accident.
Julius’s world, always defined by loss and solitude, collapses. He never met his mother, who died during his birth. His father, who raised him without ever remarrying, passed away 20 years ago. And Claire, the only woman who ever got close to him, stayed only for a brief summer. Now, the only love, the sole attention, the last loyal companion left to him, breathes his last in Julius’s presence—an intentional act of cruelty. It's more than Julius can bear. His peaceful life, previously defined by himself, his dog, and Shakespeare’s language, is shattered. By the day following the brutal death of his dog, Julius retrieves his grandfather’s sniper rifle from the closet and sets out hunting for the murderer. Collateral damage included…
Certain books initially sound rather unspectacular. A man embarking on a quest for revenge because someone killed his dog? It might initially conjure thoughts of old Charles Bronson movies or Michael Douglas's "Falling Down," not necessarily great literature. Yet, there are books that hold a magnetic appeal, practically forcing you to test the first few pages. Ideally, this is enough to capture your attention completely, making it impossible to put the book down until you've reached the last page. "Julius Winsome" achieves this effortlessly.
Gerard Donovan proves himself an exceptionally talented author, vividly evoking the loneliness and chill of the Maine woods in beautifully resonant sentences. Reading this novel, you’ll swear you can hear the creaking wood of Julius's cabin, smell the aged pages of his library books, and sense the crunching snow beneath your boots. Donovan's poetic prose makes readers silent witnesses to an ostensibly cold-blooded revenge spree, where Julius hunts his targets with the same calculated, passionless precision hunters use to take down their prey. Yet, roles of perpetrator and victim aren’t as clear-cut as one might initially assume. Good and evil rarely fit neatly into black-and-white categories; far too often, their boundaries blur into shades of gray—much like the shifting weather and light conditions of a Maine winter.
What a book! Initially, I picked it up because the glowing praise on the back cover and brief summary intrigued me. Within the first lines, I was completely captivated by Donovan’s remarkable style. He masterfully writes vivid prose without ever becoming excessive. Initially viewing Julius as simply an unhinged lunatic, I soon realized it wasn't so straightforward. For me, "Julius Winsome" is THE literary recommendation for this fall!