[English version below]
Jetzt mal ehrlich: Als im Jahre 2013 bekannt wurde, dass sich Wir sind Helden-Gitarrist Mark Tavassol mit Fernsehclown Klaas Heufer-Umlauf zusammengetan hatte, um gemeinsam Musik zu machen – wer hätte denn da vermutet, dass mit GLORIA so eine Wucht in Tüten auf die Musikwelt losgelassen werden würde? Dass in Klaas ein solch begnadeter Texter und Sänger steckt und er sich mit Mark musikalisch so gut ergänzt? Dass das gleichnamige Debütalbum GLORIAs zu einem Top-Album des Jahres 2013 avanciert und von Kritiker*innen und Konsument*innen gleichermaßen umjubelt wird? Ich gebe zu: Ich hätte das damals nie und nimmer nicht vermutet, war dann aber umso angenehmer überrascht. Knapp zwei Jahre später veröffentlicht das Duo mit „Geister“ sein mit höchster Spannung erwartetes Nachfolgewerk. Erwartungen, Leistungsdruck – scheinbar alles kein Problem für GLORIA, die ganz spielend noch eins obendrauf setzen. Vorhang auf für GLORIAs „Geister“!
Kaum dass die ersten Töne vom Opener „Heilige und Hunde“ das Ohr der Hörer:innen erreichen, einem Stück, das sich mit blindem Gehorsam befasst, wird eines schnell sehr klar: Die Welt von GLORIA hat sich weiterbewegt. Über dem ganzen Album liegt eine Ernsthaftigkeit, eine Schwere, die „Geister“ wie ein deutliches Kontrastprogramm zum Debütalbum wirken lässt. Das Unbeschwerte, das Leichtfüßige – es ist ernsteren Themen, noch eindringlicherem und gefühlvollerem Gesang und weitgehend ruhigeren, melancholischer wirkenden Arrangements gewichen. Ohne dabei erdrückend schwer geworden zu sein. Tanzten Gloria auf dem Debüt noch auf den Dächern, so sind sie nun wie Beobachter, die Leute beim Tanz auf dem Dach skizzieren. Mit der milden Güte der Lebenserfahrung, die es einfach überflüssig macht, manches noch selbst ausleben zu müssen. Ohne die Notwendigkeit, ihre Beobachtungen mit erhobenem Zeigefinger hinausposaunen zu müssen. „Stolpersteine“ beispielsweise positioniert das Duo als behutsame Ballade gegen das Vergessen und Leugnen. Sie ummanteln ihre Botschaften hinter bildhaften Metaphern, doch: wer wachen Geistes durch das Leben wandert, wird sie empfangen. Wer nicht… Nun, diese Person wird sich vom Titelstück „Geister“ vermutlich auch nicht ertappt fühlen, wenn GLORIA unreflektiertes Denken und Handeln sowie das Nacheifern falscher Ideale thematisieren.
John Lennon wird das Zitat zugeordnet, Leben sei das, was passiert, während man sich mit anderen Plänen beschäftigt. GLORIA machten einen Song aus diesem Sinnspruch. „Das, was passiert“. Und genau so ist es doch. Wie oft rennen wir diesem oder jenem hinterher und das Schicksal macht einen Strich durch die Rechnung? Stets dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Ganz gleich, ob das nun gut oder schlecht ist. Oh, und haben wir nicht alle schon mal davon geträumt, neu anfangen zu können? Entweder irgendwo, wo uns niemand kennt? Oder vielleicht gleich das ganze Leben rebooten? Welchen Preis wäre man bereit, dafür zu zahlen? Eine der vielen Fragen dieses Albums, die in „Neu beginnen“ gestellt werden. Wie gesagt – Metaphern. Das Album ist voll damit, was es den Hörenden ermöglicht, die vorgegebenen Pfade auch mal zu verlassen und den eigenen Gedankenwegen zu folgen.
Ob das hier alles so gewollt war oder ob sich die ernstere Ausrichtung einfach so ergeben hat, bedingt durch Erfahrung und Entwicklung, entzieht sich meiner Kenntnis. Musikalisch zollen GLORIA dieser Entwicklung indes durch sanftere, gefühlvollere und liebevollere Arrangements Tribut. Im direkten Vergleich ist das Erstlingswerk das Album, das man beschwingt tagsüber hört. Die „Geister“ hingegen, die kommen besser in den Abendstunden zur Geltung. Wenn man Zeit und Möglichkeit hat, über verschiedenste Dinge zu sinnieren. Erstaunlich, wie gut sich die beiden Alben ergänzen. Erstaunlicher, wie ganz hervorragend GLORIA die Abendgarderobe steht.
Im Zuge der Veröffentlichung von „Geister“ wird Klaas wie folgt zitiert: „Wir liefern etwas, in dem man sich aufhalten kann. Ein Lied sollte einem das Gefühl geben, für seine Dauer ganz darin eintauchen zu können. So etwas wollen wir den Leuten bringen“. Und wie sie liefern. Oh ja! Elf Songs sind es, in denen man versinken kann. Ja, eigentlich sogar zwingend möchte, nur um die Gefühle zu bewahren. Immer und immer wieder. Ohne dass dabei auch nur ein einziger Song übersprungen werden müsste. Jeder einzelne Titel dieses Albums ist von solch herausragender Güte, dass man fast ein bisschen weinen möchte vor Glück, etwas derart Schönes hören zu dürfen. Alleine diese vielschichtigen Arrangements, die dank der luftigen Produktion viel Raum zum Atmen haben. In einer Welt, wo alles dank Loudness immer gleichförmiger wird, ein wahrer Segen.
Wer bezüglich „Gloria“ einschlägige Suchmaschinen bemüht, findet oftmals zunächst einen Feuerlöscherhersteller. Oder einen Anbieter von Essen auf Rädern. Deshalb ergänzt Mark Klaas’ Aussage folgendermaßen: „Musik ist aber keine Dienstleistung und muss selbstbewusst ihren Platz behaupten können … Ein Feuerlöscher ist im Ernstfall immer wichtiger als ein Song. Trotzdem scheinen die Menschen Musik für ihr Leben zu brauchen“. Wie sehr er damit ins Schwarze getroffen hat, wird einem bewusst, wenn die letzten Töne dieses Albums verklungen sind und man noch in Gedanken beim Gehörten und dessen gemalten Bildern verweilt. Musik, wie sie GLORIA hier geschaffen haben, ist vielleicht nicht lebensnotwendig. Jedenfalls nicht so wie Essen, Trinken und Atmen. Aber sie wertet das Leben durch die erzeugten Gedanken und Gefühle, als Begleiter in verschiedensten Momenten, zweifellos auf. Macht es vielleicht sogar ein kleines Stück lebenswerter, da Musik immer auch ein gute*r Freund*in sein kann, der da ist, wenn er gebraucht wird. GLORIA kann fortan immer da sein. Von mir aus als Feuerlöscher, von mir aus auch als Essen auf Rädern. Aber bitte ganz unbedingt als ständiger Gefährte auf der steinigen Straße des Lebens. Ein größeres, dankbareres Kompliment kann ich einer Band oder einem Album gegenüber nicht machen.
Um „Geister“ abschließend wirklich gut beschreiben zu können, müssen wir uns kurz mit dem Wort Geister selbst beschäftigen. Es leitet sich vom mittelhochdeutschen geist ab und meint in seiner ursprünglichen Bedeutung so viel wie Erregung. Oder Ergriffenheit. Und das, liebe Leute, passt wie die Faust aufs Auge. Beim ersten Hören war ich so ergriffen von diesen „Geister“n, dass ich es kaum in Worte fassen kann – und ich bin echt selten um Buchstaben verlegen. Was Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol mit ihrem Zweitalbum geschaffen haben, ist nicht einfach „nur“ ein weiteres Album, das auf den Markt geschmissen wird in der Hoffnung auf ein paar Hörer*innen. Es gehört zu den absolut schönsten Alben, die ich jemals hören durfte. Die Wirkung aus Musik, Text und transportierter Stimmung wird wohl nicht nur mich so manches Mal ergriffen innehalten lassen … „Geister“ gehört zu den größten Highlights des Jahres 2015! Zwar ist das Jahr noch nicht vorbei und ein paar potentielle Knüller stehen uns noch bevor. Irgendwie beschleicht mich aber dennoch das Gefühl, dass die Krone womöglich schon vergeben wurde.
Let's be honest: When it was announced in 2013 that Wir sind Helden guitarist Mark Tavassol had teamed up with television comedian Klaas Heufer-Umlauf to make music, who would’ve guessed that GLORIA would hit the music scene with such stunning force? Who knew Klaas had such an exceptional talent as a lyricist and singer, or that he and Mark would complement each other so perfectly? Who could've anticipated that their self-titled debut would become one of 2013’s standout albums, celebrated equally by critics and audiences? I admit: I certainly didn't see it coming, but I was all the more pleasantly surprised. Nearly two years later, the duo returns with their highly anticipated follow-up, "Geister." Expectations and pressure to deliver seem to pose no problem for GLORIA, who effortlessly outdo themselves. Raise the curtain for GLORIA’s "Geister"!
From the very first notes of the opener "Heilige und Hunde"—a song dealing with blind obedience—it's immediately clear: GLORIA's world has evolved. The album carries a seriousness, a gravity, creating a clear contrast with their debut. The carefree, playful spirit has yielded to deeper subjects, more poignant and emotional vocals, and largely more subdued, melancholic arrangements—but never feeling oppressive. If GLORIA danced across rooftops on their debut, now they’re thoughtful observers sketching those rooftop dancers, with the gentle wisdom of experience making it unnecessary to relive every moment personally or shout out their observations. "Stolpersteine," for instance, emerges as a tender ballad against forgetting and denial. Their messages are wrapped in vivid metaphors, yet anyone moving through life attentively will grasp them. Those who don’t... well, they probably won't recognize themselves in the title track, "Geister," where GLORIA explores unreflective thinking and following false ideals.
John Lennon famously said, "Life is what happens while you're busy making other plans." GLORIA turned this wisdom into a song, "Das, was passiert"—and isn't that exactly how life unfolds? How often do we chase after one thing or another, only for fate to intervene unexpectedly, good or bad? And haven't we all dreamed of starting over somewhere new, perhaps even rebooting our entire lives? What price would you pay for such a chance? One of the many questions posed by this album, particularly in "Neu beginnen." Again—metaphors abound. The album invites listeners to step off the prescribed paths and follow their own thoughts.
Whether the album's more serious direction was intentional or a natural result of experience and growth, I can't say. Musically, GLORIA pays tribute to this maturity with gentler, more emotional, and affectionate arrangements. Side by side, their debut is the album you play during lively daylight hours. "Geister," however, is better suited for evenings, when you have time to reflect. It's remarkable how well the two albums complement each other—and even more astonishing how elegantly GLORIA wears this evening attire.
In the lead-up to "Geister," Klaas was quoted as saying, "We’re offering something you can dwell in. A song should allow you to fully immerse yourself for its duration. That’s what we want to give people." And deliver they do! Eleven songs you want—no, feel compelled—to lose yourself in, over and over, without ever feeling the urge to skip even one track. Each song is of such outstanding quality you might almost weep from the joy of experiencing something this beautiful. The layered arrangements, thanks to airy production, leave plenty of room to breathe. In a world dominated by uniform loudness, this album is a true blessing.
When searching for "Gloria" online, you'll often find fire extinguisher manufacturers or meal-delivery services. Mark adds to Klaas’s thoughts: "Music isn’t a service and should confidently assert its place... A fire extinguisher is always more important than a song in an emergency. Yet, people seem to genuinely need music in their lives." He couldn't be more correct—a realization fully evident when the album's final notes fade, leaving listeners lingering in contemplation of the imagery just painted. Music like GLORIA's might not be as vital as food, drink, or air, yet it enriches life through its emotional resonance, accompanying us in various moments and making life a bit more worth living. Perhaps music can even serve as a good friend, always there when needed. GLORIA can forever remain by our side—whether as a fire extinguisher or meal delivery service, but absolutely as a steady companion on life's rocky road. There’s no greater compliment I could pay a band or an album.
To properly conclude describing "Geister," we must briefly examine the word itself. Derived from Middle High German "geist," it originally meant excitement or profound emotional response. And this, dear readers, fits perfectly. From the first listen, I was deeply moved by "Geister," beyond words—and words are rarely a challenge for me. What Klaas Heufer-Umlauf and Mark Tavassol have created with their second album isn't merely another record tossed into the market in hopes of attracting listeners. It stands as one of the most beautiful albums I've ever heard. The synergy of music, lyrics, and mood will surely cause many listeners to pause in emotional contemplation. "Geister" ranks among the greatest highlights of 2015. Though the year isn't over and several potential hits remain, I can't shake the feeling that the crown may have already been claimed.
Roman Empire