[English version below]
Neulich las ich in einem Zeitungsartikel, dass Dating-Apps einer der beliebtesten Wege seien, eine*n neue*n Partner*in zu finden. Und dass dabei langweilige Paare entstehen würden; immer mehr schöne Menschen würden sich mit ebenso schönen Menschen zusammenfinden. Optisch nicht gleich attraktive Paare, die sich durch die inneren Werte anziehend fänden, seien rückläufig, hieß es in dem Artikel, der sich auf eine aktuelle amerikanische Studie stützte.
Na immerhin.
Schön, dass sich Menschen überhaupt noch finden. Manchmal hege ich da Zweifel, wenn ich mich so umgucke. Jedoch ist bei diesen ganzen Beziehungskisten nicht immer alles eitel Sonnenschein. Manche Dinge fahren so grandios gegen die Wand, dass es zu immer größeren Narben kommt. Narben, die so in der Seele brennen, dass sie ein ums andere Mal einen Fluchtreflex provozieren, noch bevor vielleicht etwas Gutes entstehen kann. Nein, ich rede nicht von mir und meinem ausgereiften Fluchtmodus, sondern von „Walk With Scars“. Es ist die erste EP von Liquid Newt, dem gemeinsamen Projekt von Didier Salvatore (Diskonnekted) und Frank M. Spinath (Seabound, Edge Of Dawn, Ghost & Writer), thematisiert genau dieses Problem – und gleicht in vielerlei Hinsicht einem absoluten Volltreffer. So manche*r wird sich hiermit vielleicht mehr identifizieren können, als es lieb sein kann … Vorhang auf für Liquid Newt!
Die Literaturfreund*innen unter Euch kennen vielleicht Daniel Glattauers Roman „Gut gegen Nordwind“. Bedingt durch eine Irrläufer-Mail lernen sich Leo und Emmi (bzw. Emma), die beiden Figuren dieses Buches, virtuell kennen und es entwickeln sich im Verlaufe des daraus entstandenen, andauernden E-Mail-Dialogs Gefühle zwischen den beiden Protagonist*innen. Wer schon mal eine Online-Partnersuche ausprobiert hat, und sei es nur dieses alberne Tinder, der wird bestätigen können: Es ist ganz und gar nicht abwegig, was der Glattauer 2006 formulierte.
Ich selbst habe inzwischen vermutlich auch nahezu jede Partnervermittlung einmal durchgespielt und kann bescheinigen: in Schriftform können sehr wohl Gefühle entstehen. Oder wenigstens kann man sich einreden, dass dies geschehen würde. Es überrascht ja auch nicht: die Worte des einen formen Bilder im Kopf des anderen. Dass Vorstellung bzw. Wunschdenken und Realität oftmals voneinander abweichen, das steht freilich auf einem anderen Blatt. Das Ende ist oftmals nicht so happy, wie es wenigstens eine*r der Beteiligten gerne gehabt hätte. Pretend that you’re mine. Be my life. Fehlanzeige.
Ähnlich verhält es sich bei „Walk With Scars“, denn auch hier entwirft Sänger und Texter Frank M. Spinath eine kleine Geschichte zweier einsamer Seelen, die sich online kennenlernen. Rhinestone (der Name basiert übrigens auf dem Songtitel „Little Rough Rhinestone“ von Soft Cell) und Diamond Shine. Beide haben sie – wie vermutlich so jeder (langjährige) Single, der sich in die virtuellen Welten flüchtet – ihre Erfahrungen gemacht. Ihr Kreuz zu tragen. Er fühlt sich, als würde die Welt und das Leben nur so an ihm vorbeiziehen. Sie sagt, über die Jahre hätten Männer Zeichen und Spuren in ihr nun hölzernes Herz geätzt.
Und auch das wird bestätigen können, wer in puncto Beziehung schon mal so richtig eins vor die Kauleiste bekommen hat: mit jeder Narbe, die einem in die Seele gekratzt wird, fällt es immer schwerer, zu vertrauen. Nähe zu erlauben, jemanden wieder ins eigene Leben und dicht daran teilhaben zu lassen. Too scared to trust. We walk with scars. Und ähnlich wie in besagtem „Gut gegen Nordwind“ lässt auch Frank M. Spinath diese Geschichte von Liebe und Hoffnung nicht gut ausgehen. Er, Rhinestone, fasst sich ein Herz. Wir könnten ja wenigstens so tun als ob. We can always leave. We can always go. Later. Ihre Wunden aber, die scheinen zu tief. Sie bricht den Kontakt ab. No reply. Und so macht er sich auf eine hoffnungslose Suche nach seiner Angebeteten, die ein besonderes Mal trägt. Ein Tattoo auf dem Arm, das fragt: „Are You The One?“
Ausgangspunkt für diese tragische Liebesgeschichte sei ein Moment gewesen, in dem Frank deprimiert in der Wanne eines Mietapartments gelegen habe und sich das Herz oder die Seele eines Menschen wie einen Baum vorstellte. Gleichzeitig kam die Idee eines Pärchens auf, das einen Beweis der Liebe in ebendiesen Baum ritzte. Tja, das ist alles immer ganz prima, solange man die Welt durch die rosarote Brille betrachten kann. Wenn die Liebe aber gegangen ist, dann bleiben diese Schnitzereien als das zurück, was sie letztendlich sind: Narben. Narben, mit denen man fortan leben muss …
Inhaltlich ist dem Duo Liquid Newt zum Einstand also ein dolles Ding gelungen, das sich nicht nur wohltuend von so vielen anderen, oftmals so belanglosen Klischeetexten der Mitbewerber*innen abhebt. Sondern das auch in einer Welt, wo die Zahl der Singles immer mehr steigt, wo alleine zu bleiben immer mehr zu einem Lebensentwurf wird und wo sich gleichzeitig immer mehr Menschen zur Suche nach einem Lebensabschnittsgefährten für die Dienste irgendwelcher Plattformen und Apps entscheiden, enormes Identifikationspotential bietet. Die Frage jedoch, die bleibt – weit über den Song hinaus – ist: Narben gut und schön, aber die Flucht wirklich immer der richtige Weg? No reply.
Auch musikalisch geben sich Liquid Newt bei „Walk With Scars“ keine Blöße. War bei Didier Salvatore, ansonsten Musikus bei Diskonnekted, aber auch nicht anders zu erwarten. Was große, gefühlvolle Melodien bei gleichzeitiger Eingängigkeit und, je nach Belieben, auch Tanzbarkeit angeht, damit kennen sich die Belgier ja bestens aus. Der Überhit „Yesteryears“ vom 2012er-Album „Hotel Existence“ soll an dieser Stelle als leuchtendes Beispiel genügen. Didiers Musik wirkt hier mitunter ein bisschen trancig, wechselt gekonnt zwischen den Passagen, bei denen die Füße automatisch mitwippen und denen, wo die Augen fast schon automatisch zuklappen, um das Träumen zu erleichtern. Franks Gesang wirkt wie eine Mischung aus seinen Performances, die er für Ghost & Writer und Edge Of Dawn lieferte. Insgesamt fühlt sich Liquid Newt dem letztgenannten auch am nächsten an, ohne jedoch auch nur im Entferntesten das Gefühl zu vermitteln, es mit einer Kopie zu tun zu haben.
„Walk With Scars“ liegt auf dieser EP in vier Versionen vor. Die normale sowie der Remix von Liquid Newt selbst. Beide wie immer ganz großartig produziert von Olaf Wollschläger, zuletzt in Erscheinung getreten mit der Produktion der aktuellen In-Strict-Confidence-Single „Somebody Else’s Dream“. Die beiden Versionen sind sich sehr ähnlich, der Remix legt jedoch mehr Augenmerk auf eine größere Tanzflächenkompabilität. Es tönt alles noch eine Spur tranciger, die Melodiebögen wurden noch dramatischer und eindringlicher hervorgehoben – lange Rede, gar kein Sinn: Das Ding will in die Clubs.
Wenig überraschend gibt es überdies einen Diskonnekted-Remix von Jan DeWulf. Jener ist nicht nur mit einer Spielzeit von gut siebeneinhalb Minuten deutlich länger ausgefallen, er mutet auch viel konstruierter, technischer, und futuristischer an, wenn auch nicht weniger melodiös und eingängig. Die Geschichte, die in „Walk With Scars“ erzählt wird, sie funktioniert vermutlich an jedem Ort und zu jeder Zeit und ein bisschen fühlt es sich so an, als verlagerte die Diskonnekted-Version das Märchen von Rhinestone und Diamond Shine in eine unbestimmte Zukunft.
Abgerundet wird die EP mit der Demoversion des Songs. Natürlich klingt sie viel roher und ungeschliffener als die durchproduzierten Versionen, jedoch lässt sich hier sehr gut erahnen, wie Frank die Geschichte um die Wortgruppe „Walk With Scars“ ersonnen und seinen Figuren mit Worten und Gesang Leben einzuhauchen versuchte. Ein Vorhaben, das durchaus von Erfolg gekrönt war. Wer weiß, vielleicht ist die Geschichte von Rhinestone und Diamond Shine ja noch nicht am Ende angelangt? Die von Leo und Emmi war es ja schließlich zunächst auch nicht. Liquid Newt haben hier einen bärenstarken ersten Eindruck geliefert, der dringend nach mehr schreit – da könnten die beiden ja vielleicht noch mal zurückkommen. Troubled hearts, out of the dark of one cold winter night they emerged. Like a moth. Like a promise.
In einem Interview sagte Frank über die Lyrics des Songs, es sei fast so, als sei er Didiers großer, böser Bruder, der dessen schönes Lied schwarz einfärbte. Tatsächlich bilden Musik und Inhalt einen faszinierenden Kontrast. Die Musik voller träumerischer Wärme, wie man sie bei Diskonnekted, Didiers bisheriger Hauptbaustelle, so oft findet. Und dem gegenüber die Geschichte von Rhinestone und Diamond Shine über das Knüpfen zarter Bande und am Ende doch nicht über den eigenen Schatten springen können. Kein Happy End erlauben können. Eben weil die Narben in der Seele und im Herzen zu großen Furchen geworden sind, über die zu springen unmöglich scheint.
Der Einstand ist Didier und Frank mit „Walk With Scars“ jedenfalls mehr als gelungen! Bleibt zu hoffen, dass Liquid Newt keine kurzlebige Sache bleibt, sondern sich zu einer dauerhaften Institution entwickelt. Von allen Projekten, denen Frank Spinath bisher Texte und Stimme geliehen hat, ist dies nämlich das bisher herzerwärmendste. Ob das so bleibt, wird sich zeigen, wenn weitere Tracks vorliegen. Bis dahin hat sich „Walk With Scars“ mal eben im Rennen als großartigster Electro-Track des Jahres ganz weit vorn positioniert. Ganz, ganz weit.
The other day I read in a newspaper article that dating apps are now one of the most popular ways to find a new partner. And that this supposedly leads to boring couples: more and more attractive people ending up with other attractive people. According to the article, which referenced a recent American study, couples whose appeal lies in personality rather than looks are on the decline.
Well, at least people are still finding each other. Sometimes I have my doubts, looking around. But in all these matters of the heart, it’s rarely all sunshine and roses. Some relationships crash and burn so spectacularly that they leave behind ever-deeper scars—scars that burn in the soul and trigger the urge to flee long before something good might even have a chance to blossom. No, I’m not talking about myself and my well-developed escape reflex. I’m talking about “Walk With Scars”—the debut EP from Liquid Newt, a new joint project by Didier Salvatore (Diskonnekted) and Frank M. Spinath (Seabound, Edge Of Dawn, Ghost & Writer). The EP tackles precisely this problem—and hits the mark in more ways than one. Some listeners may find it hits a little too close to home. Curtains up for Liquid Newt!
Those of you into literature might know Daniel Glattauer’s novel “Love Virtually.” Through a misdirected email, the two protagonists, Leo and Emmi (or Emma), strike up a virtual conversation that slowly evolves into something deeper. If you’ve ever dabbled in online dating—even something as silly as Tinder—you’ll know: what Glattauer described back in 2006 wasn’t far-fetched at all.
I think I’ve pretty much tried every matchmaking platform out there and can confirm: yes, feelings can arise through writing. Or at least you can convince yourself they do. It's not surprising really—the words of one person conjure images in the mind of another. Of course, what you imagine and what’s real don’t always match up. That’s another story. The ending is often far less happy than one of the two involved had hoped for. Pretend that you’re mine. Be my life. Nope.
The situation in “Walk With Scars” is similar. Once again, lyricist and vocalist Frank M. Spinath tells a story—this time about two lonely souls meeting online: Rhinestone (a name inspired by Soft Cell’s “Little Rough Rhinestone”) and Diamond Shine. Both have their share of baggage—as most long-time singles venturing into the virtual dating world do. Rhinestone feels like life is simply passing him by. She says that over the years, men have carved marks into her now wooden heart.
And anyone who’s ever really taken a hit in the relationship department will know this too well: every scar etched into your soul makes it harder to trust again. To allow closeness. To let someone into your life and your inner circle again. Too scared to trust. We walk with scars. And just like in “Love Virtually,” Frank M. Spinath doesn’t grant this tale of love and hope a happy ending. Rhinestone gathers his courage: We can always leave. We can always go. Later. But her wounds run too deep. She cuts off contact. No reply. And so he embarks on a hopeless search for the one he adores—the one with a special mark: a tattoo on her arm that asks, “Are You The One?”
The inspiration for this tragic love story came, according to Frank, from a moment when he was lying depressed in the bathtub of a rental apartment, imagining a person’s heart or soul as a tree. Simultaneously, he thought of a couple carving their love into such a tree. Sure, that’s all very romantic when the world’s seen through rose-colored glasses. But when love is gone, those carvings remain for what they really are: scars. Scars you have to live with.
So thematically, Liquid Newt have knocked it out of the park with this debut—setting themselves apart from the endless sea of cliché-ridden lyrics floating around out there. And in a world where the number of singles is rising, where solitude is turning into a lifestyle choice, and more and more people use apps and platforms to search for a temporary partner, this EP offers a high degree of relatability. The only question that lingers—well beyond the song itself—is this: Scars may be part of the story, but is running away always the right response? No reply.
Musically, Liquid Newt also don’t miss a beat with “Walk With Scars.” Not that we expected anything less from Didier Salvatore, known for his work with Diskonnekted. When it comes to rich, emotive melodies that manage to be catchy—and, if desired, even danceable—the Belgians know their craft. Just take the 2012 hit “Yesteryears” from the album “Hotel Existence” as proof. Didier’s music here carries a slight trance vibe, effortlessly switching between foot-tapping passages and dreamy segments that invite you to close your eyes and drift away. Frank’s vocals feel like a blend of his work with Ghost & Writer and Edge Of Dawn. In fact, Liquid Newt leans a bit more toward the latter—without ever feeling like a copy.
Like a Moth. Like a Promise.
“Walk With Scars” is presented in four versions on this EP: the original and a remix by Liquid Newt themselves. Both are, as always, superbly produced by Olaf Wollschläger—who recently worked on In Strict Confidence’s latest single, “Somebody Else’s Dream.” The two versions are quite similar, though the remix is more geared toward the dancefloor. It sounds even more trance-driven, the melodies more dramatic and insistent—long story short: this one wants to be played in clubs.
No surprise either: there’s also a Diskonnekted remix by Jan DeWulf. It’s not only significantly longer at about seven and a half minutes, it also feels more constructed, technical, and futuristic—though still melodic and catchy. The story told in “Walk With Scars” works in any setting and any era, and this version feels like it transplants Rhinestone and Diamond Shine’s tale into some undefined future.
Rounding out the EP is the demo version of the track. Naturally, it sounds rougher and more unpolished than the fully produced ones, but it gives insight into how Frank first conceived the story around the phrase “Walk With Scars”—how he breathed life into these characters through words and song. A mission he accomplished with flying colors. And who knows—maybe Rhinestone and Diamond Shine’s story isn’t over yet? After all, Leo and Emmi’s wasn’t either. Liquid Newt have made one hell of a first impression—one that cries out for more. Maybe these two will come back. Troubled hearts, out of the dark of one cold winter night they emerged. Like a moth. Like a promise.
In an interview, Frank said that writing the lyrics for the song felt like being Didier’s big, bad brother who paints his beautiful song black. And it’s true: music and content here form a fascinating contrast. The music, full of dreamy warmth, like so much of what Diskonnekted is known for. And the lyrics—a story of two people forging a fragile connection, only to be unable to overcome their fears. Unable to allow a happy ending. Because the scars on the soul and heart have become too deep to leap over.
With “Walk With Scars,” Didier and Frank have delivered a debut far more than worthy. Let’s hope Liquid Newt doesn’t turn out to be a fleeting affair, but rather evolves into a lasting presence. Of all the projects Frank Spinath has ever lent his lyrics and voice to, this one might just be the most heartwarming. Whether that holds true once more tracks are released remains to be seen. But for now, “Walk With Scars” has surged ahead in the race for greatest electro track of the year. And it’s way, way out in front.
Roman Empire