[English version below]
Von Teams, die ihre Superkräfte in den Dienst der Menschheit stellen (beispielsweise die „Avengers“) bis zu deren Gegenentwurf „The Boys“ und all der Graustufen, die jemals dazwischen lagen („Rising Stars“, „The Authority“) – Gruppierungen von Menschen, die auf diese oder jene Weise erst zu besonderen Fähigkeiten kamen, um sie anschließend für oder gegen die Menschheit zu verwenden, gab es in der Geschichte der Comics schon so viele. Auch Held*innen wie Wonder Woman, Batman, The Flash und wie sie nicht alle heißen, sahen und sehen sich regelmäßig mit Bedrohungen aller Geschmacksrichtungen konfrontiert. Die Frage ist doch: kann man da noch irgendeinen Twist, irgendeinen fetzigen und/oder spannenden Kniff finden, der einer ziemlich ausgelutschten Grundprämisse noch so viel neue Facetten abgewinnt, um unterhaltsam, womöglich sogar spannend zu sein? Comicautor Mark Millar („Kick-Ass“, „Kingsmen: The Secret Service“), schon lange Superstar in der Szene, kann. Schließlich hatte er das Ende der 1990er-Jahre bzw. Anfang der 200er schon einmal getan. Lange, bevor „The Boys“ die Grenzen des guten Geschmacks immer weiter verschob, beerbte Millar Warren Ellis als Schreiber von „The Authority“ und brachte zusätzlich frischen Wind in einen Bereich der Comics, der bis dato nur von DCs bzw. Marvels strahlenden Heldinnen und Helden bevölkert war. Mit „The Ambassadors“ schickt sich Millar nun an, zu wiederholen, was ihm schon einmal gelungen war: einem verstaubten Genre die Spinnenweben aus dem Scheitel zu klopfen. Unterstützt wird er dabei von sechs der herausragendsten Künstler, welche in der Comicszene derzeit zu erleben sind. Die nächste Frage, die sich stellt: Kann
Wie Ihr den einleitenden Worten schon entnehmen konntet, haben wir es in „The Ambassadors“ mit einer Gruppierung von Menschen zu tun, die aufgrund besonderer Fähigkeiten unterwegs ist, um die Menschheit vor dieser oder jener Bedrohung zu retten. Soweit erst einmal nichts Neues. Allerdings ist diese ganz oberflächliche Betrachtung schon alles, was „The Ambassadors“ mit anderen Team-Ups gemeinsam hat. Die Botschafter in diesem Comic bekommen ihre Fähigkeiten nicht etwa durch kosmische Strahlung, missglückte Experimente, die Einnahme irgendwelcher Substanzen oder weil sie von irgendeinem Viech in den Po gebissen wurden, sondern durch spezielle Armbänder, die es ihnen erlaubt, aus einem Portfolio von über 50 Spezialkräften jeweils bis zu drei Superkräfte herunterzuladen und anzuwenden. Eine Fähigkeit, die von einem Ambassador verwendet wird, steht dann den anderen in der Zwischenzeit nicht zur Verfügung. Das allein ist schon mal ein pfiffiger Kniff. Die nächste, sehr wohltuende Abweichung von dem, was Comiclesende bisher so kennen, ist der Umstand, wie die Botschafter auserkoren wurden, um in den Genuss dieser Fähigkeiten zu kommen.
Entwickelt wurde die Technologie von der Koreanerin Choon-he Chung alias Codename Korea, die zum Zeitpunkt der Präsentation ihrer Schöpfung einerseits die Weltöffentlichkeit staunen lässt, wie sie fliegend eine Kostprobe ihrer Fähigkeiten gibt – und gleichzeitig im Gefängnis sitzt und sich, kurz nachdem ihre Seele, Erinnerungen, Persönlichkeit usw. auf ihre Kopie übertragen wurde, eine Kugel ins Hirn jagt. Sie startet einen Aufruf, dass sich jeder Mensch auf der Welt als Ambassador bewerben kann und soll – um dann, im Falle einer Zusage, als Repräsentant*in des jeweiligen Landes für das Gute zu kämpfen. Es überrascht nicht, dass die Aussicht auf übermenschliche Fähigkeiten bald ein paar hundert Millionen Bewerbungen nach sich zieht. Von Kleinkriminellen bis zu den vermögendsten Menschen ist alles dabei. Den Zuschlag erhalten aber stets Personen, die in den Augen von Choon-he Chung wirklich gute oder besondere Dinge tun. Und daher fällt das Los denkbar unscheinbaren Menschen zu: Einem indischen Verkäufer eines Handyshops beispielsweise, der sich während eines Anschlags schützend vor Unschuldige stellt und diese heroische Tat beinahe mit dem Leben bezahlt. Oder einer französischen Rezeptionistin, die als alleinerziehende Mutter eines Jungen, der Todeslisten über Mitschüler anfertigt, die Aufmerksamkeit der Ambassadors erregt. Oder der südamerikanische Geistliche, der von Kartellbossen um die Ecke gebracht werden soll, seine Chance auf die Mitgliedschaft bei den Ambassadors aber ausgerechnet an die Person weitergibt, die gekommen ist, um ihn zu exekutieren. Und so weiter. Auch hier weicht Mark Millar auf so vielen Ebenen vom Gewohnten ab.
Und auch bei den Antagonisten ist Millar auf neuen Pfaden unterwegs. Gegenspieler von Choon-he Chung ist ausgerechnet ihr Ex-Mann, der nicht nur dafür verantwortlich war, dass sie unschuldig und mit schwersten Vorwürfen konfrontiert im Knast gelandet ist, sondern der ebenfalls über Jahre daran geforscht hat, Supermenschen zu erschaffen. Und der sein Know-how nun an Superreiche verbimmelt. Wenig überraschend, mit sehr finsteren Absichten im Sinn. Und dass da letztlich so viel mehr als ein Rosenkrieg herauskommt, muss nicht gesondert erwähnt werden, oder?
Zurück zur Frage: Ist es Mark Millar gelungen, noch einmal solch ein Brett wie die eingangs genannten zu liefern? Aber hallo! Ich bin sogar geneigt zu behaupten, dass Millar hier eine seiner besten Arbeiten überhaupt präsentiert. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen gefällt es mir sehr gut, dass hier stinknormale Menschen, von denen von den allermeisten sonst vermutlich nie jemand auch nur ansatzweise Notiz genommen hätte, dazu auserwählt wurden, mit Superkräften ausgestattet zu werden. Die Charaktere sind dabei so vielfältig wie abwechslungsreich und jedwede Motivation und Handlung ist nachvollziehbar und schlüssig. Dass manche Figuren, wie Codename India, aus dem Fokus geraten, nachdem sie zu Ambassadors geworden sind, liegt wohl einfach in der Natur von Comics, die um Teams herum entworfen wurden. Der Kniff, dass die vermeintlichen Held*innen immer nur drei Fähigkeiten haben können, die sie zuvor downloaden müssen und die dann dem Rest der Gang nicht mehr zur Verfügung stehen, ist ziemlich genial. Das bietet Potenzial für so manch spannende Story. Weiterhin richtig gut: die Ambassadors, die hier im Fokus stehen, kommen aus Frankreich, aus Indien, aus Mexiko oder Australien – und damit aus Ländern, die nicht notwendigerweise bisher mit Held*innen in Verbindung gebracht wurden. Und als wäre das alles nicht schon entzückend genug, geht der erste Band von „The Ambassadors“ weit über die übliche Klassenkeile hinaus. Lange Rede, kurzer Sinn: Mark Millar hat geliefert und das auf eine Weise, die mich so beeindruckt, wie es zuletzt „Rising Stars“ von J. Michael Straczynski (u. a. „Babylon 5“) vermochte. Und das ist mit einer Veröffentlichung von 1999 bis 2005 schon ein paar Tage länger her.
Der durchweg außerordentlich gute Eindruck, den dieser Comic hinterlässt, wird unterstrichen durch die herausragenden Arbeiten der für die Bilder zuständigen Künstler Frank Quitely, Karl Kerschl, Travis Charest, Olivier Coipel, Matteo Buffagni und Matteo Scalera. Da ist nicht einer dabei, dessen Zeichnungen ich nicht als ästhetisch ansprechend empfinde. Jeder einzelne Künstler vermag es, „The Ambassadors“ in einen Blockbuster zum Lesen zu verwandeln. Wenn Codename France, zusammen mit ihrem Sohn Paris, einen Zug zu stoppen versucht, der führerlos auf einen Bahnhof zu rast und alles in einer großen Tragödie zu enden droht – dann ist das inhaltlich wie optisch so spannend, so dynamisch, so mitreißend und so detailliert umgesetzt, dass ich, wenn ich dafür anfällig wäre, an den Fingernägeln kauen würde! Ganz großes Kino zwischen zahlreichen Panels, sozusagen.
Schlussendlich ist „The Ambassadors“ eine sehr spannende, sehr dramatische, teilweise auch ziemlich blutige Comiclektüre geworden, die Millars Ruf als Autor hervorragender Geschichten nur noch mehr zementiert. Mehr als 20 Jahre nach „The Authority“ positioniert sich „The Ambassadors“ als eine Art würdiger Nachfolger – und als perfekte Alternative für all jene, denen die „Avengers“ zu sauber und „The Boys“ zu derbe sind. Ich hoffe, künftig noch viele weitere Geschichten von Choon-he Chung und ihren Botschaftern lesen zu können – der Auftakt ist einfach next Level! Ich bin überzeugt, dass ich noch in Jahren an diesen Comic zurückdenken werde.
From teams that put their superpowers at the service of humanity (such as the "Avengers") to their stark contrast, "The Boys," and all the shades of gray that have ever existed in between ("Rising Stars," "The Authority")—there have been countless groups in comic history consisting of people who, in one way or another, gained extraordinary abilities and subsequently used them for or against humanity. Heroes like Wonder Woman, Batman, The Flash, and many others have regularly faced threats of all kinds. The question is: can a new twist, an exciting or fresh take still be found to breathe new life into a concept that has been explored time and again? Comic book writer Mark Millar ("Kick-Ass," "Kingsman: The Secret Service"), a long-standing superstar in the scene, proves that it is possible. After all, he had already done so in the late 1990s and early 2000s. Long before "The Boys" pushed the boundaries of good taste, Millar succeeded Warren Ellis as the writer of "The Authority," injecting fresh air into a genre that had until then been largely dominated by DC and Marvel’s shining heroes. With "The Ambassadors," Millar now sets out to do what he has done before: shake off the cobwebs of a worn-out genre. And he is supported by six of the most outstanding artists currently working in comics.
The next question is: Can Mark Millar deliver another groundbreaking work like "Kick-Ass," "Wanted," or his run on "The Authority"? As I said before—he can. And he does.
As you may have already gathered from these opening words, "The Ambassadors" revolves around a group of individuals who use their unique abilities to save humanity from various threats. So far, nothing new. However, this surface-level similarity is about all that "The Ambassadors" has in common with other team-ups. The Ambassadors in this comic do not gain their powers from cosmic radiation, botched experiments, substance ingestion, or a bite from some creature. Instead, they receive their abilities through special wristbands that allow them to download and utilize up to three superpowers from a portfolio of over 50 different abilities. Once a power is being used by one Ambassador, it becomes unavailable to the others for the time being. That alone is a clever twist. Another refreshing departure from the usual tropes is the way in which the Ambassadors are chosen to wield these powers.
The technology was developed by Choon-he Chung, also known as Codename Korea. At the moment she unveils her creation to the world—demonstrating her abilities by soaring through the air—she is also incarcerated. Moments after transferring her soul, memories, and personality into her copy, she takes her own life with a gunshot to the head. She then issues an open call for anyone in the world to apply to become an Ambassador. Successful candidates will represent their respective countries and fight for the greater good. Unsurprisingly, the promise of superhuman abilities leads to hundreds of millions of applications, ranging from petty criminals to the world’s wealthiest elites. However, only those who, in Choon-he Chung’s eyes, have performed truly good or remarkable deeds receive the honor. As a result, the chosen Ambassadors are often unassuming individuals: an Indian cell phone shop worker who nearly loses his life shielding innocents during an attack; a French hotel receptionist, a single mother, whose troubled son maintains a list of classmates he plans to kill; or a South American priest who is targeted for assassination by cartel bosses—only for him to pass on his opportunity to join the Ambassadors to the very person sent to execute him. And so on. Mark Millar breaks away from convention on multiple levels.
Even in terms of villains, Millar explores new territory. Choon-he Chung's adversary is none other than her ex-husband—the very man responsible for her wrongful imprisonment and the grave accusations against her. He has also spent years researching superhuman creation, but instead of sharing his knowledge for the greater good, he sells it to the ultra-wealthy for dark and sinister purposes. It goes without saying that the ensuing conflict is far more than just a domestic feud.
Returning to the central question: Has Mark Millar managed to produce another masterpiece on par with his greatest works? Absolutely! In fact, I am inclined to say that "The Ambassadors" is one of his finest creations to date. There are several reasons for this. Firstly, I love the idea that completely ordinary people—individuals whom most of the world would never have noticed—are chosen to receive superpowers. The characters are diverse and varied, and every motivation and action feels logical and well-thought-out. While some characters, like Codename India, fade from focus after becoming Ambassadors, this is an inherent challenge of team-based comics. The concept of Ambassadors having access to only three downloadable powers at a time—powers that are then temporarily unavailable to the rest of the team—is a brilliant move. It opens the door for compelling storytelling opportunities. Another excellent aspect is that the Ambassadors come from France, India, Mexico, and Australia—countries not typically associated with superheroes. And as if that weren’t already compelling enough, the first volume of "The Ambassadors" goes beyond the usual superhero brawls.
To sum it up: Mark Millar has delivered once again—and in a way that impresses me as much as "Rising Stars" by J. Michael Straczynski (of "Babylon 5" fame) did. And that was quite a few years ago, between 1999 and 2005.
The consistently outstanding impression left by this comic is further reinforced by the phenomenal artwork of illustrators Frank Quitely, Karl Kerschl, Travis Charest, Olivier Coipel, Matteo Buffagni, and Matteo Scalera. Every single one of them brings a level of aesthetic appeal that transforms "The Ambassadors" into a visual blockbuster. When Codename France, together with her son Paris, attempts to stop a runaway train hurtling toward a station, the sequence is so thrilling, so dynamic, so gripping, and so meticulously detailed that if I were prone to it, I’d be biting my nails! It’s blockbuster storytelling packed into countless breathtaking panels.
Ultimately, "The Ambassadors" is a highly engaging, dramatic, and at times quite bloody comic that further cements Millar's reputation as a master storyteller. More than 20 years after "The Authority," "The Ambassadors" positions itself as a worthy successor—and as the perfect alternative for those who find the "Avengers" too clean and "The Boys" too extreme. I sincerely hope to read many more stories about Choon-he Chung and her Ambassadors in the future—the debut is simply next level! I have no doubt that this is a comic I’ll be thinking about for years to come.
Roman Empire